Endlich liegt sie im Briefkasten, die Broschüre für die interessierte Frau, ausgegeben von der Deutschen Gesellschaft für Mann und Gesundheit. Nachdem der Mann in der Onlinezeitschrift Mann-Oh-Mann (Ausgabe Sommer 2023) gelesen hat, dass seine Frau sich um seine Gesundheit zu kümmern hat, denn „Frauen erkennen meist viel früher als ihr Mann selbst, wenn er sich verändert, und können ihm so auch rechtzeitig sagen, wann es Zeit für einen Arztbesuch ist“ (Zitat!), hat er das Heftchen direkt angefordert. Freudestrahlend legt sie Kochlöffel und Schürze beiseite, als sie die Broschüre vom Mann entgegennimmt… (i)


Darin findet sie alle Informationen zum „Königshormon ihres Mannes“, sodass sie ihre Gesundheitsfürsorge für den Mann gewinnbringend einsetzen kann.
Außerdem ist sie wichtige Gesundheitsmanagerin, behält ihren Mann im Blick und hat nicht nur ein Auge auf physische Veränderungen, sondern achtet auch auf seine Psyche.

Das alles, während sie bereits den überwiegenden Anteil an Sorgearbeit für Haushalt und Kinder leistet, ebenso die meiste Gedankenarbeit (Mental Load) verrichtet und versucht, für ihre eigene physische und psychische Gesundheit zu sorgen.
Strategische Inkompetenz¹ auf der einen Seite, denn der Mann kann das anscheinend gar nicht selbst und darum wird es zur extra Aufgabe und Last für die Frau. Auf der anderen Seite das Bild der fürsorgenden Frau, die einfach „naturgegeben“ eine bessere Wahrnehmung für Gesundheitsthemen hat.
Dies sind keine medizinisch nachweisbaren oder wissenschaftlich feststehenden Zuordnungen, sondern einfach binäre, stereotype Darstellungen von Mann und Frau der 50er Jahre.
Auch das Zitat „Ein unglücklicher Mann: Ein Problem, das Frauen keine Ruhe lässt.“ ist fernab von medizinischer Aufklärung und trägt zur Festigung hierarchischer Verhältnisse zwischen Geschlechtern bei.

Wir fragen uns, was das in einer Zeitschrift über gesundheitliche Aufklärung zu suchen hat und hoffen, dass zumindest die Aussagen zum Testosteronmangel „den derzeit aktuellen medizinischen Kenntnisstand“ widerspiegeln, so wie es in der Broschüre versprochen wird.

Zu guter Letzt wird in der Broschüre die Frau aufgefordert, gemeinsam mit ihrem Mann die Checkliste zu seinen Symptomen auszufüllen. Denn auch das kann der Mann nicht alleine? Uff. Wir fordern dazu auf, lieber folgende Checkliste gemeinsam mit allen Beteiligten der DGMG durchzugehen und die Broschüre dringend einer Überarbeitung zu unterziehen.
Das ist gruselig, denn:
- Das Produkt* richtet sich nur an ein (binäres) Geschlecht: Es schließt durch seine Gestaltung – z.B. durch die Verwendung bestimmter Farben (vgl. Rosa-Hellblau-Falle), Symbole, Aufschriften – oder auf andere Weise explizit oder implizit Menschen auf Grundlage ihrer Geschlechteridentität vom Kauf oder der Nutzung aus.
- Die Werbung / Verpackung legt den Fokus auf stereotyp zugewiesene Eigenschaften einer Zielgruppe und legt damit fest, für wen das Produkt angeblich produziert wurde.
- Das Produkt / die Werbung reduziert Personen auf ihre klischeehaft dargestellte Geschlechtszugehörigkeit und / oder reproduziert stereotype Geschlechterrollen.
- Es werden Unterschiede zwischen den Interessen / Vorlieben der Geschlechter betont oder konstruiert.
- Mädchen / Frauen und Jungen / Männer werden in hierarchischer Beziehung zueinander dargestellt.
- Es besteht ein deutliches Ungleichgewicht in der Anzahl der abgebildeten (oder genannten) Frauen und Männer.
- Das Geschlecht einer Person wird ohne Bezug zum Produkt besonders hervorgehoben und betont.
- Das Produkt wird zwar als unisex-Produkt angeboten, enthält aber trotzdem eine implizite Geschlechtszuordnung.
- Die Produktbeschreibung / die Werbung ist nicht geschlechtergerecht formuliert.
- Das Produkt wird mit „Gender Pricing“ / „Pink Tax“ verkauft, d.h. die an Frauen gerichtete Version ist teurer.
Hallo Deutsche Gesellschaft für Mann und Gesundheit, wie wäre es mit einer Aufklärungsbroschüre über Mental Load und Equal Care für eure Männer-Community? Wir empfehlen die Informationen unserer Schwester-Initiative Equal Care.
Ein Wink mit dem Zaunpfahl geht nach Usingen und ein herzlicher Dank für die Einreichung an unsere Community.
(tl)
1 – „Weaponized Incompetence“, oder auf Deutsch: Die als patriarchale Waffe instrumentalisierte Inkompetenz – auch: Strategische Inkompetenz – beschreibt ein Verhalten, bei dem eine able-bodied Person vorgibt, eine Aufgabe nicht erfüllen zu können oder absichtlich an ihr scheitert, um zu vermeiden, künftig für diese Aufgabe zuständig zu sein oder noch einmal mit der Erledigung beauftragt zu werden.