Von rosa wattefressenden Einhörnern und weltrettenden Superhelden auf Skateboards
Gastbeitrag von Sandra Tausch
Die Augen meiner Kinder leuchten heller als die funkelnden Glitzersteine auf den pinken Tutus, als wir die Kinderkleiderabteilung im Warenhaus erreichen. Sie sind begeistert von all den freundlichen Farben, Prinzessinnenaufdrucken und kleinen Handtäschchen, bis ich plötzlich vom Verkaufspersonal darauf hingewiesen werde, dass sich die Jungenabteilung aber auf der anderen Seite befinde.

Jeden Tag werden wir durch Gendermarketing, das sich mittlerweile durch sämtliche Produktpaletten zieht, gezwungen, uns für die eine oder die andere Schublade zu entscheiden. Egal ob wir Chips, Duschgel oder ein T-Shirt kaufen, wir müssen uns dabei positionieren und uns gegen das vermeintlich andere abgrenzen. Durch diese Art der (sozialen) Gruppenzugehörigkeit setzen wir uns gezwungenermaßen zu anderen in Relation.
Im Produktbereich der Kinderkleidung ist diese Vergeschlechtlichung ganz besonders perfide, weil Kinder so schon im Kleinstkindalter vermeintliche Differenzen re_produzieren und somit ihre persönliche Identitätskonstitution über den Transport stereotyper Rollenmuster geschieht. Dass beispielsweise T-Shirt-Prints eine Erwartungshaltung an den*die Träger*in stellen und diese Einfluss auf die Selbstwahrnehmung und Produktivität hat, wurde bereits mehrfach wissenschaftlich belegt. Biologistische und evolutionstheoretische Vorstellungen von Geschlecht erleben damit eine neue Renaissance und dienen als Erklärungsmuster und Legitimationsgrundlage.
Wie das funktioniert, lässt sich besonders gut am Beispiel von Kinderoberteilen zeigen. Anhand von Farben, Motiven, Sprüchen und Schnitten lässt sich meist genau identifizieren, für welche Zielgruppe – Jungen oder Mädchen – ein T-Shirt vermarket wird. Genau so soll es ja im Interesse der Warenindustrie auch laufen.
In einer empirischen Erhebung, in der ich mehr als 3600 Oberteile aus 10 verschiedenen Online-Shops analysiert habe, konnte ich untersuchen, dass sich innerhalb der binär vermarkteten Produktreihen stetig wiederholende Themen, zusammengesetzt aus Wörtern, Abbildungen und Farben, erkennen lassen.
Farben für Jungen – Farben für Mädchen
Im Bereich der Farben gibt es Farbwelten, die besonders gut geeignet sind, stereotype Rollenmuster und Einschreibungen zu vermitteln. So sind es auf der einen Seite Grün, Braun, Orange – Erdtöne also, die eine besondere Verbundenheit mit der (wilden) Natur darstellen, und auf der anderen Seite zarte pastellartige Farben wie Rosa, Lila und Pink, die sanft, hübsch und strahlend wirken. Die Warenindustrie legt damit Farben für Jungen und Farben für Mädchen fest und verknüpft sie mit Eigenschaften. Mit einem kompletten Design (Farbe, Motiv, Spruch und Schnitt) vermitteln die Hersteller den Eindruck, diese Produkte seien ausschließlich für das eine oder das andere Geschlecht geeignet. Entsprechend gängiger heteronormativer Geschlechterstereotype werden Jungen durch Wörter wie „cool“, „boy“, „adventure“, „explore“ und „future“ als starke, abenteuerlustige und freie Individuen dargestellt. Wörter wie „love“, „smile“, „magic“ und „unicorn“ stellen Mädchen hingegen als fröhliche, unschuldige, verträumte und sanfte Wesen dar.

Die Abbildung zeigt zwei wordclouds, die die Häufigkeit von gedruckten Wörtern auf den Kinderoberteilen repräsentiert. Je größer ein Wort dargestellt ist, desto häufiger kam es vor. Die Farbgebung ist an die gemessene Farbverteilung innerhalb des Datensets angelehnt. Das Zusammenspiel aus Farbverteilung und immer wiederkehrenden Motiven und Wörtern lieferte signifikante Aussagen über die Vorstellungen und Charakterisierungen von kindlichen, zweigeschlechtlichen Lebenswelten. Gesellschaftlich re_produzierte Unterschiede zwischen Mädchen und Jungen werden somit aufgenommen und auf den Kinderoberteilen abgebildet und damit neu hervorgebracht. Außerdem veranschaulichte die Analyse, wie stark die Vorstellungen von männlicher und weiblicher Sozialisation voneinander abzuweichen scheinen.
Es werden keine kindlichen Grundbedürfnisse befriedigt – das Gegenteil ist der Fall
Durch thematische Bündelungen werden gesellschaftlich gängige und akzeptierte Männlichkeitspraktiken repräsentiert, die angewandt werden, um als „eindeutig“ männlich identifiziert zu werden. Ebenso werden damit Inszenierungen von hegemonialer Männlichkeit, also die Herstellung eines bestimmten Bildes von Überlegenheit, re_produziert. Es ist zwar davon auszugehen, dass sich die Entwürfe von Männlichkeiten von erwachsenen Männern und Jungen deutlich variieren, Kinder jedoch durch ihr Verhalten und den Umgang mit spezifischen Situationen ihre Zugehörigkeit zu einer bestimmten Gruppe zeigen. Florale, verträumte und damit zarte Motive spiegeln Weiblichkeitskonstruktionen, soziale Fähigkeiten (soft skills) und (christliche) Werte wider. Mit der stetigen Widerherstellung stereotyper Männlichkeits- und Weiblichkeitsbilder unterstützt die Mainstream-Textilindustrie die Aufrechterhaltung hegemonialer Männlichkeiten und Weiblichkeitskonstruktionen.

Durch die strikt binäre und heterosexuell geprägte Bewerbung von Kinderkleidung, werden die Träger*innen in ihrer freien Entfaltung eingeschränkt und sie bzw. ihre Eltern werden zu einer Entscheidung für ein Geschlecht gezwungen. Damit reiht sich der Textileinzelhandel in eine Gruppe von Branchen ein, die ebenso durch Gendermarketing eben kritisierte Strukturprinzipien re_produzieren (die Spielwarenindustrie, die Hersteller*innen von Pflegeprodukten, Schuhen, Schultüten, etc.). Sie alle tragen zu einer fortdauernden starren Trennung zwischen zwei Geschlechtern bei. Durch Gendermarketing hervorgebrachte Produkte und Dienstleistungen tragen maßgeblich dazu bei, dass im kindlichen Sozialisationsprozess gelernt wird, in welche der vermeintlich zwei Richtungen eine geschlechtliche Entwicklung geht und wie die Geschlechterverhältnisse durch gegeneinander abgrenzende Praktiken immer wieder hergestellt werden. Es werden damit also keine rosafarbenen und hellblauen kindlichen Grundbedürfnisse befriedigt – das Gegenteil ist der Fall.
Abgesehen davon, dass die Wirtschaft mit dieser Marketingstrategie mehr Profite generiert, macht sie mit dieser Vorgehensweise aus Geschlecht einen unbezahlbaren Wirtschaftsfaktor – Geschlecht bzw. Geschlechtlichkeit und Vergeschlechtlichung wird damit zur Ware.
*Sandra Tausch: Frühkindliche Differenzkategorisierung. Eine explorative Analyse von Kinderkleidung. 8/2018
Sandra Tausch ist wissenschaftliche Mitarbeiterin an der TU Berlin,
Fachgebiet/Chair „Gender in MINT und Planung / Feminist Studies
in Science, Technology and Society (Feminist STS)“, Zentrum für Interdisziplinäre Frauen- und Geschlechterforschung (ZIFG)