Zum Inhalt springen

Gastbeitrag von Jury-Mitglied Boris von Heesen

Autor, Männerberater und dieses Jahr Mitglied der Jury des Goldenen Zaunpfahl Awards Boris von Heesen nimmt uns mit auf eine Reise durch seinen Alltag. Er beschreibt, wie sich dieser durch ein Bewusstsein für Gendermarketing verändert hat, wie schwer es wird die Klischees nicht an jeder Ecke wahrzunehmen.
Seine Schlussfolgerung: Manche Unternehmen verdienen einen Award für ihr Gesamtwerk – ähnlich wie wir ihn im vergangenen Jahr am dm Drogeriemarkt vergeben haben; und wie der goldene Zaunkönig, den Lego sich ebenfalls im vergangenen Jahr gesichert hat. Great minds think alike…

Der goldene Gartenzaun

Ich beschäftige mich als Autor mit den ökonomischen Auswirkungen ungesunder Geschlechterrollen und in diesem Jahr bin ich zudem Mitglied der Jury für die Wahl des Goldenen Zaunpfahls. Mit diesen Herausforderungen im Gepäck kann es sehr anstrengend sein, sich in Deutschland im Jahr 2022 durch den öffentlichen Raum zu bewegen.

Stark sensibilisiert für das Thema sauge ich jede Menge Gendermarketing-Botschaften auf, die buchstäblich an jeder Ecke auf mich abgefeuert werden. Zahlreiche unnötige Geschlechterzuschreibungen in Werbebotschaften fallen mir auf, die sich entweder an ‚echte‘ Jungs und Männer oder ‚wahre‘ Mädchen und Frauen richten. So will die Wirtschaft entweder ihre Umsätze erhöhen oder Zielgruppen effektiver ansprechen und binden. Das nervt, weil es die Geldbeutel vieler Menschen gerade in Zeiten von Inflation und Pandemie unnötig belastet. Es hat aber auch dramatische Folgen: durch das Gendermarketing und allgemein geschlechtsspezifische Werbung werden solche Rollenbilder und Geschlechterstereotype Tag für Tag reproduziert und dann verfestigt, die wir schon längst glaubten, überwunden zu haben.

Genau diese Stereotype führen dann dazu, dass Männer immer noch vorwiegend in Lohnarbeit und Frauen in die Carearbeit streben oder gedrängt werden. Oder dass Mädchen in ihre Schranken gewiesen werden, wenn sie zu laut und dominant sind und Jungen im Gegensatz dazu in solchen Verhaltensweisen Bestärkung erfahren. Und so werden alle Menschen von klein auf und dann immer wieder darin erinnert, wo sie hingehören: nämlich auf die für sie vorgesehene Seite der Fahrbahn auf der Autobahn der Geschlechter, getrennt durch massive Leitplanken, damit niemand auf die Idee kommt, als Mann unter Umständen vermeintlich weibliche Eigenschaften in sein Leben zu lassen und als Frau vermeintlich männliche. So werden wir um die Hälfte unserer menschlichen Möglichkeiten beraubt, wie der niederländische Geschlechterforscher Jens van Tricht schreibt.

Aber zurück in die echte Welt, die mich in den letzten Wochen mit Gendermarketing und geschlechtsspezifischer bzw. sexistischer Werbung verschreckt hat. Ob ich im Internet auf eine Anzeige für ein Shirt mit dem Schriftzug „I’ll fix it“, gedruckt in grober vermeintlich männlich anmutender Westernschrift stoße, mich die Plakatwand eines Malerunternehmens anspringt, die mit dem Slogan „Schwing dein Ding“ offensichtlich ausschließlich männliche Bewerber für den Ausbildungsberuf des Malers und Lackierers suchen oder mir im Supermarkt rosa Schokonikoläuse für Mädchen oder blaue für Jungen den Weg versperren.

Es gibt aber Unternehmen, die noch einen draufsetzen. Eine Kranvermietung wirbt auf einem VW-BUS dafür, dass „sie immer einen hochkriegen“. Ein Dachdeckerunternehmen versucht auf einem Firmenfahrzeug mit einer bauchfreien Zimmerfrau mit großem Dekolleté lasziv blickend mit dem Spruch „Ihr Dach in den besten Händen“ auf sich aufmerksam zu machen.

Auf die Spitze treibt es aber die Haushaltswarenmarke KOENIC, ein Tochterunternehmen der SATURN-MEDIA Gruppe. Auf einem TV-Gerät in einer Saturn-Filiale wird in einem Imagefilm die Geschichte einer ‚typischen‘ bürgerlichen Kleinfamilie erzählt, bei der sich spontan per WhatsApp die Großeltern anmelden. Die Mutter fegt in der Folge wie ein fröhlicher Wirbelwind putzend durch die Wohnung, während der (viel ältere) Ehemann am Küchentisch sitzend aus dem Staunen nicht mehr herauskommt. Kurz danach föhnt sie sich die Haare, nutzt einen Lockenstab und schminkt nicht nur sich, sondern auch ihre kleine Tochter. Als es klingelt, stehen die Großeltern vor der Türe und treffen auf eine makellos gestylte Kleinfamilie, in der sich alle Familienmitglieder perfekt in die für sie vorgegeben Rollen eingefügt haben. Diesen Werbefilm würde ich gerne für die neue Kategorie der ‚Goldene Gartenzaun‘ nominieren, so sehr strotzt er vor ungesunden Geschlechterstereotypen.

Boris von Heesen