Zum Inhalt springen

The winner is dm – Laudatio 2021

von Judith Rahner,

Wie wäre es mit einem Sabber-Lätzchen für die „Fee“ oder den „Sandkastenchef“ oder einem Schnuller nur „für Jungen“ oder Kinder-Duschgels für „Prinzessinnen“ und „Piraten“,

„Prinzessinnen“ und „Weltraumfahrer“,

„Meeresprinzessin“ und „coole Taucher“

„kleine Prinzessin“ und…

…überhaupt ziemlich viele rosa Prinzessinnen…

na gut, ab und zu ist auch eine glitzerrosa Meerjungfrau dabei.

„Hier bin ich Mensch, hier kauf‘ ich ein“? Weit gefehlt: Hier bin ich Mann, Junge, Frau oder Mädchen. Bei der Drogeriemarktkette dm werden diverse Produkte offensichtlich an ein bestimmtes Geschlecht vermarktet. Das bringt ja auch einfach mehr Geld in die Kasse: Familien müssen dann eben 2 Duschgels, Shampoos oder Schaumkugeln kaufen – in rosa und hellblau.

In der Wissenschaft ist längst belegt, wie früh und schädlich der Einfluss von geschlechtlichen Zuordnungen auf Kinder wirkt. Sie verhindern eine freie Entwicklung von Interessen, verfestigen unterschiedliche Beurteilungen von Jungen und Mädchen und sie verstärken Vorurteile. Da wirkt es wie eine pastelfarbene Floskelwolke, wenn sich dm nun in einer Stellungnahme mit einer Unternehmensphilosophie schmückt, die „die Individualität jedes Einzelnen“ fördere. Und sogar Kund*innenwünsche als Ausrede für die Geschlechtertrennung am Drogerieregal heranzieht. Da hat dm etwas durcheinandergebracht: denn den Anfang des Gendermarketing hat nicht die Kundschaft gemacht, sondern Firmen haben über Jahrzehnte in die Trennung der Zielgruppen investiert. Da wäre also mehr Verantwortung bei dm angebracht!

Immerhin geht es um einen Konzern mit 12 Milliarden Euro Jahresumsatz, der seine rosa-hellblau Klischees durch 32 Eigenmarken in mehr als 3.800 Filialen unter die Geschlechter bringt. Stereotype Zuordnungen von Produkten haben im Falle von dm also enorme Auswirkungen. Und ja, dm hat ein paar Dinge verändert und nein, das reicht nicht. Oder warum wird etwa die „Windeltorte“ entweder mit hellblauen oder mit rosa Schleifchen verkauft? Kein Mensch weiß, wozu das gut sein soll. Aber immerhin kosten die geschlechterdifferenzierten Windeln gleich viel. Das ist bei dm nämlich auch nicht immer selbstverständlich. Wegen Gender Pricing zahlten Kundinnen auch gern mal zwei Euro mehr für die rosa Einwegrasierer statt für die identisch blaue Variante. Das ist besonders dreist, wenn man bedenkt, dass Frauen in dieser Gesellschaft immer noch weniger verdienen. Hat dm hier etwa auch Kundinnenwünsche umgesetzt? Ganz bestimmt wollen Frauen für Drogerieprodukte nicht mehr Geld ausgeben, sondern sie werden durch überzogene Schönheitsideale der Werbeindustrie unter Druck gesetzt und von früh an überall als „nie richtig“ angesprochen: nicht jung genug, nicht glatt genug, nicht haarlos genug, nicht schlank genug. Absurd, die Verantwortung den Frauen aufzuladen.

Aber nicht nur für Frauen ist sexistische Werbung schädlich. Sie zementiert eine künstliche Unterscheidung zwischen Frauen und Männern und die Produktpalette bei dm schlägt genau in diese Kerbe: ein Männerduschgel mit Bier- oder Whiskey-Duft, eine Handwaschpaste mit Sägemehl oder ein Duschpeeling mit Aktivkohle. Braucht es wirklich eine Handcreme für „Männerhände, die in jede Werkstatt“ gehört? Glaubt irgendwer bei dm tatsächlich, dass ein Mann sich in seiner Männlichkeit bedroht sieht, wenn die Gesichtsmaske nicht als „Banditen-Maske“ aufgemacht wird oder wenn er sich nicht mit dem Shampoo „strong Power“ einschmieren kann? Und damit ‹Mann› sich im Regal auf keinen Fall vergreift, klebt neben schwarz-blauer Aufmachung noch das Etikett „for Men“ drauf.Damit ‹Mann› sich bei dm besser gar nicht erst verläuft, gibt es sogar ein eigenes „Männerregal“. Sicher ist sicher! Denn wer weiß schon was passiert, wenn sich ein „harter Kerl“ mit dem Duschgel für die „Prinzessin“ einseift? Dort gibt es nur SelfCare und alles ist Seinz. Windel-, Putz- und Haushalts-Bereich ist nicht seine Angelegenheit.

Wenn Mädchen nur Prinzessinnen und Jungen die Abenteurer sein müssen, wenn nicht-binäre Personen kein Duschgel finden und wenn im „Männerregal“ die Putzmittel und Babysachen fehlen, dann ist es Zeit für den Wink mit dem Zaunpfahl.

Für ein seit Jahren penetrantes Gendermarketing und für das Widerkäuen uralter Geschlechterklischees verleihen wir der Drogeriemarktkette dm heute den goldenen Zaunpfahl. Unser Preisträger 2021.

Judith Rahner

Amadeu Antonio Stiftung, Fachstelle Gender, gruppenbezogene Menschenfeindlichkeit und Rechtsextremismus

Judith Rahner