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Der goldene Zaunkönig

In diesem Jahr hat das ‚Team Goldener Zaunpfahl‘ zum nun fünften Mal den Preis für absurdes Gendermarketing verliehen. Auch an dieser Stelle noch einmal einen herzlichen Glückwunsch an die aktuelle Gewinnerin: dm drogerie markt GmbH und die Preisträger*innen der vergangenen Jahre: Pons Gmbh/Klett Lerntraining (2017), Franckh-Kosmos Verlags-GmbH (2018), spielaffe.de/Stroer Media Brands GmbH (2019) und Depesche/TopModel (2020). Was allerdings in diesem Jahr sonst noch passiert ist, das verlangte nach einer Steigerung, da reicht auch kein ganzer Zaun. In diesem Jahr gibt es deshalb einen Preis der Ehrenkategorie, den Goldenen Zaunkönig!

Warum? Ein Unternehmen hat sich quasi selbst nominiert. Ein Unternehmen, das nicht nur seit Jahren hartnäckig und penetrant seine eigentliche Zielgruppe ‚Kinder‘ binär einteilt in Jungen und Mädchen, sondern darüber hinaus besonders klischeehafte Botschaften von Kampf und Krieg auf der einen, Haushalt und Pflege auf der anderen Seite verbreitet. Ein Unternehmen, das durch seine Reichweite und Marktmacht entscheidend mit dazu beigetragen hat, Gendermarketing in Deutschland zu etablieren. Und dieses Unternehmen verteilt nun seit kurzem in Interviews und SocialMedia-Posts Ratschläge an Eltern, wie Kinder ohne Geschlechter-Stereotype erzogen werden können?! Und die neue Geschäftsführerin, Karen Pascha-Gladyshev lässt sich in einem Interview wie folgt zitieren: „Kinder sind ganz unbefangen und haben Interessengebiete, die nicht unbedingt in ein Klischee reinpassen. Wenn sie mit Stereotypen konfrontiert werden, kommt es aber leider häufig eher von Erwachsenen als von Kindern.“ – Ja, es geht um die Lego Deutschland GmbH.
Bild: Lego, Screenshot klische*esc e.V.
Bild: Lego, Screenshot klische*esc e.V.
Um diesen Auftritt als neue Wohltäterin für Gleichstellung und Wahlfreiheit vorzubereiten, hat die Lego GmbH extra eine Studie in Auftrag gegeben, die jetzt mit Informationen zitiert wird, die schon lange bekannt sind. Schon 2014 haben Wissenschaftler*innen mit der Studie ‚Pink gives girls permission‘ nachgewiesen, wie sehr gelabeltes Spielzeug die Interessen von Kindern steuert und ihr Spiel beeinflusst. Und noch länger, nämlich seit 2006 ist bekannt, wie die fortwährende binäre Unterteilung Kinder in ihren Spielinteressen und sozialen Beziehungen einschränkt … wohl nicht zuletzt deshalb wurde in Kalifornien dieses Jahr ein Gesetz verabschiedet, das von großen Einzelhändlern verlangt, Produkte für Kinder auch ohne Geschlechterzuweisung anzubieten.
Damit kein Missverständnis aufkommt: Wir begrüßen ausdrücklich den Schritt des Unternehmens, das Angebot im Online-Shop nicht mehr nach Jungen und Mädchen zu unterteilen, sondern Kindern die gesamte Palette anzubieten. – So wie es Lego selbst in den 1970ern gefordert hatte in seinen Spots, die kooperatives Spiel und Familienfreundlichkeit großschrieben, wie in diesem Werbespot von 1955:

LEGO, a whole new world to build:
This young girl had such fun
she used LEGO one by one
with a nic-nac-paddy-wack build a house of grand
this young girl 's a LEGO fan.

(Quelle: Feminist Frequency https://www.youtube.com/watch?v=oe65EGkB9kA / Start bei 1:33 min)
Und natürlich freuen wir uns über jede positive Veränderung, die Kindern mehr Wahlfreiheit gibt. Doch in all den Lego-Statements, Interviews und der Kommunikation der Studie findet sich kein Wort zum eigenen Einfluss in den vergangenen Jahrzenten. Stattdessen wird die Gesellschaft verantwortlich gemacht, also wir alle, Eltern, Großeltern und Verwandten, wir pädagogischen Fachkräfte, die im Erziehungs- und Bildungsbereich Verantwortung tragen, die Gesellschaft eben, und kein Wort zur Rolle von Wirtschaft und Werbebranche.

Zu einem ehrlichen Neuanfang gehört die Reflexion über das eigene bisherige Verhalten, über die eigene Verantwortung. Und es braucht smarte Ziele und einen klaren Plan, wie diese umgesetzt werden sollen. Wie werden die Erfolge bemessen und überprüft? Der Verzicht auf die Kategorie ‚Mädchen‘ und ‚Jungen‘ im Online-Shop kann allenfalls ein erster Anfang sein. Deshalb hier ein paar konkrete Fragen an die Entscheider*innen von Lego:

  • Wie geht es weiter mit der in ihrer Grundbotschaft für alle Kinder eindeutigen farblichen Gestaltung der unterschiedlichen Spielwelten?
  • Wie geht es weiter mit den unterteilten Spielwelten ‚Friends‘ und ‚City‘ und den klischeehaften Zuordnungen von Interessen und Fähigkeiten. – Erinnert sei an dieser Stelle an ein Zitat von 2012 des damaligen Chefs von Lego Deutschland, Dirk Engehausen, in der Frankfurter Rundschau: „… Jungs funktionieren anders. Da geht es um Wettkampf und Rivalität. Jungenspiele zielen allgemein viel stärker auf Gewinner und Verlierer ab, Gut gegen Böse. […] Mädchen mögen Geschichten, die das Leben spielt. Da bezieht auch die Schönste mal das hässliche Entlein mit ein. Bei Jungs geht’s eher darum, den Schwächling zu besiegen oder auszuschließen.“ (https://www.fr.de/wirtschaft/jungs-funktionieren-anders-11287106.html)
  • Wie werden Sie sich zukünftig im Bereich Gleichstellung und Wahlfreiheit in der Öffentlichkeit positionieren, im Rahmen der Verbandsarbeit? – Erinnert sei hier an die Aussage der Lego-Presseabteilung, die 2013 eine Interviewanfrage ablehnte mit der Formulierung, sich von uns nicht in „eine politische Männlein-Weiblein-Debatte“ hineinziehen lassen zu wollen. – Doch, genau darum geht es hier, um aktive Gleichstellungspolitik!
  • Wie sehen die nächsten Schritte bei Lego konkret aus, um Kindern mehr Wahlfreiheit zu ermöglichen und sie zu bestärken, auch untypische Wünsche zu äußern und Entscheidungen zu treffen?

‚Der Goldene Zaunkönig‘ soll Ansporn sein, nicht nur die eigene Marketingstrategie nachhaltig zu ändern (was im Fall von Lego ja bloß ein Zurück zu den eigenen Wurzeln wäre), sondern auch das eigene unternehmerische Selbstverständnis: Was Kinder heute spielen, wird sie in ihrem späteren Leben beeinflussen, ebenso das, was sie heute nicht spielen dürfen oder können. Aus Spielen erwachsen Interessen und Fähigkeiten, Berufe und Weltbilder. Die Kinder von heute sind die Angestellten von morgen. Wer sich also fürs eigene Unternehmen mehr Frauen in Führungspositionen und in mathematisch-technischen Fachgebieten wünscht, sollte Mädchen schon früh einen spielerischen Zugang ermöglichen, anstatt sie auf Schönheit und Haushalt zu reduzieren. Wer sich engagierte und beteiligte Väter wünscht, sollte Jungen schon früh Wege bereiten, sich im Care- und Sorgebereich zu erleben, anstatt sie mit ‚boys will be boys‘-Klischees in den Konkurrenzkampf zu schicken.

Aus der Forschung ist bekannt, dass Teams, die divers zusammengesetzt sind, auf allen Ebenen erfolgreicher und harmonischer arbeiten. Das lässt sich übertragen, auch Kinder können sich nur dann frei entfalten, wenn sie vielfältige Erfahrungen machen, mit unterschiedlichen Kindern in Kontakt kommen und spielen, wenn einengende Normen aufgelöst werden, und die individuellen Wünsche von Kindern nicht als untypisch, seltsam, gar problematisch dargestellt werden, wenn sie Unterstützung und Rückhalt erfahren, so wie sie sind. Und die Spielwarenindustrie kann da in einem offenen Austausch mit Kindern und Eltern, mit pädagogischen Fachkräften und Wissenschaftler*innen wichtige Impulse setzen.
Mit dem ‚Goldenen Zaunkönig‘ ist das ausdrückliche Angebot und die herzliche Einladung verbunden, gemeinsam mit uns eine Strategie zu entwickeln für ein Spielwarenangebot jenseits der binären Einteilung von Interessen, Fähigkeiten und Wünschen, ein Spielwarenangebot und eine Ansprache, die Kinder stärken in ihren individuellen Wünschen und Interessen. Wir freuen uns darauf.

Quellen und Bezüge: