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Wildlinge im Interview


Das freispiel-Abzeichen – Produkte und Kampagnen, die es besser machen!
Interview mit Melanie Trommer „Diversity Specialist“ bei Wildling.shoes

Wilding.shoes ist ein Unternehmen im Oberbergischen Nahe Köln, das „Minimalschuhe“ herstellt und selbst vertreibt. Der Internetauftritt und der Online-Shop wurden 2019 von uns mit dem freispiel-Abzeichen ausgezeichnet, weil hier der Shop keine Buttons für „Jungsschuhe/Mädchenschuhe“ nutzt, sondern Schuhe nach Größen sortiert und „für Füße“ verkauft werden. Im Frühjahr 2019 erschien außerdem der Artikel „Über Räubertöchter und wilde Kerle – oder warum unsere Schuhe unisex sind“ auf dem Wildling-Blog, der mit dem gängigen Vorurteil aufräumt, Männer und Frauen hätten aufgrund ihres Geschlechts unterschiedliche Füße und bräuchten deshalb auch unterschiedliche Schuhe. Melanie Trommer ist „Diversity Specialist“ bei Wildling.shoes

Wildlinge Kachel

klische*esc. e.V.: Hallo Melanie, welche Rolle hast Du im Team der Wildlinge, was können wir uns unter ‚Diversity Specialist‘ vorstellen? Ist das eine Position, die auch andere Unternehmen einführen sollten?

Als Diversity & Projects Specialist unterstütze ich Wildling dabei, Strukturen und Prozesse rund um die Themen Diversität, Inklusion und Gleichstellung in unserer Unternehmenskultur zu etablieren und weiterzuentwickeln, um so die Vielfalt unseres Wildling Teams weiter zu stärken. Aktuell ist einer meiner Schwerpunkte die Vorbereitung und Durchführung von Workshops, in denen es darum geht, dass wir uns allen unserer Vorurteile und Stereotypen bewusst werden, und wie wir einen Umgang damit lernen, der nicht zu Ausschlüssen und Benachteiligung führt. Ich habe eine Mediathek zu Diversitythemen aufgebaut, auf die alle im Team Zugriff haben, wenn sie sich selber mit bestimmten Themen weiter auseinandersetzen wollen, darin sind sowohl Youtube-Videos enthalten, als auch weiterführende Literatur.
Das sind nur ein paar aktuelle Beispiele, viele weitere Projekte befinden sich grade im Aufbau.
Ob das eine Position ist, die jedes Unternehmen einführen sollte? Ja natürlich! Es macht Sinn, dass eine Person die Diversitymaßnahmen strategisch aufbereitet, bündelt und überlegt, was aktuell am sinnvollsten ist. Einige meiner Aufgabenbereiche entstehen daraus, dass die Kolleg:innen über bestimmte Fragestellungen diskutieren. Egal wie divers und aufgeschlossen ein Unternehmen ist, es ist hilfreich, wenn jemand vom Fach an der ein oder anderen Stelle den Hut auf hat und konkrete Ideen hat, wie man diese Vielfalt im Einklang mit den Werten des Unternehmens widerspiegelt.

Melanie Trommer „Diversity Specialist“ bei Wildling.shoes

klische*esc. e.V.: Letztes Jahr habt ihr unser freispiel-Abzeichen, das Flausch erhalten. Eine Auszeichnung für Unternehmen, die sich dem Marketingtrend, Zielgruppen nach Geschlecht zu trennen, widersetzen. Warum habt ihr euch gegen Gendermarketing entschieden?

Ich glaube, die Antwort setzt vorher an: Anna und Ran, die Gründer:innen von Wildling Shoes, sind gar nicht erst auf die Idee gekommen, dass man Kinderschuhe in Mädchen- und Jungsschuhe einordnet. Sie haben selbst drei Kinder, zwei Mädchen, einen Jungen und wollten für alle drei Kinder Schuhe, die möglichst viel Freiheit für Füße bedeuten. Da Füße zwar individuell sehr unterschiedlich sein können, aber nicht zwangsweise nach Geschlecht verschieden, gibt es keinen Grund, da eine Unterteilung zu machen. Das Gleiche gilt auch für erwachsene Füße.
Kurz: es war keine Entscheidung, bei dem die Manager zusammensaßen und sagten: Also dieses Gendermarketing machen wir nicht. Es war ein natürliches Ergebnis, weil überhaupt keine Notwendigkeit FÜR Gendermarketing gesehen wurde und wird.

Melanie Trommer „Diversity Specialist“ bei Wildling.shoes

klische*esc e.V.: Habt Ihr auf den o.g. Blogartikel negative Reaktion bekommen? Musstet Ihr Euch rechtfertigen oder gibt es auch heute manchmal Gegenwind oder Unverständnis?

Die Reaktionen zu dem Blogartikel waren hauptsächlich positiv. Zum Design gibt es zwar regelmäßig mal Kommentare wie “Könntet ihr nicht mehr Mädchenschuhe machen?” aber auch darauf ist unsere Antwort meistens, dass wir Minimalschuhe machen und zwar für alle. Ja, da gibt es auch mal Modelle in rosa oder hellblau. Aber warum sollte man das eine Modell nur für Mädchen (oder Frauen) verkaufen und das andere nur für Jungs?
Warum soll ich mir von einem Shop vorschreiben lassen, welche Farbe oder welches Design für mein Geschlecht oder das meiner Kinder angemessen ist oder nicht? Denn meistens geht es bei den Schuhen und ihrer Einteilung in Für Frauen oder Für Männer ja um Optik, selten um Funktion und da Geschmäcker verschieden sind, schränken solche Schubladen nur ein.

Melanie Trommer „Diversity Specialist“ bei Wildling.shoes

klische*esc e.V.: Gab es interne Hürden bei der Entscheidung, Euer Angebot ohne Gendermarketing zu bewerben?

Nein, gar nicht. Anna hat ja das Marketing anfangs selbst mit aufgebaut und die meisten meiner Kolleg:innen arbeiten unter anderem so gerne bei Wildling, weil dieses Schubladendenken hier nicht herrscht.

Melanie Trommer „Diversity Specialist“ bei Wildling.shoes

klische*esc e.V.: Warum unterstützt Ihr das Freispielabzeichen, warum findet ihr es wichtig, Unternehmen wie euch, die bewusst Kinder Kinder sein lassen und nicht in Rollenklischees drängen, auszuzeichnen?

Ich finde es ein wichtiges Signal, dass es überhaupt ein Abzeichen oder “Siegel” dafür gibt. Als ich Mutter wurde, habe ich mich sehr oft geärgert, dass es bei Klamotten und Spielzeug so oft die #rosahellblaufalle gibt und weiß, dass es vielen Eltern genau so geht! Es ist NICHT Elternwunsch, den eigenen Kindern nur eine begrenzte Auswahl von Spielzeug oder Kleidern zu ermöglichen, jedenfalls nicht mit Blick auf Farben oder Motiven. Aber dadurch, dass es so omnipräsent ist, wird es immer schwieriger, aus dieser Falle auszubrechen. Ich finde dieses Abzeichen so wichtig, weil Kinder Kinder sein sollen, mit eigenen, vielfältigen Wünschen und Bedürfnissen, die nicht von ihrem “Geschlecht” bestimmt werden. Diese können sie aber nur zeigen und ausleben, wenn sie nicht nur als “Mädchen = rosa = Prinzessin = Einhorn = Bürokauffrau = Mutter in Teilzeit” oder “Junge = blau = Autos = Piraten = Informatiker = gefangen im Hamsterrad 40+Stunden Job um Geld für die Familie zu verdienen” gesehen werden. Sondern in ihrer ganzen Vielfalt von Wünschen und Interessen.

Melanie Trommer „Diversity Specialist“ bei Wildling.shoes

klischeesc. e.V.: Viele kleinere Onlineshops gehen einfach nur mit beim Gendermarketing und sehen es als Status Quo an, ohne diesen zu hinterfragen. Oft ist ihnen die Tragweite der Rollenklischees in ihren Shops gar nicht bewusst. Welche Erfahrungen und Tipps habt Ihr, die Ihr solchen Shop-Inhaberinnen weitergeben könnt?

Bei Wildling Shoes arbeiten heute, nur sechs Jahre nach der Gründung 2015, 170 Leute, und in jeder Saison werden mehr Schuhe verkauft als in der davor. Es geht definitiv ohne Rosa-Hellblau-Falle®, wenn das Produkt und das Unternehmen überzeugen. Ich frage mich, was denn passieren soll, wenn die Kategorisierung nach “Mädchen/Jungen” oder eben “Damen/Herren” wegfällt? Die Leute brauchen trotzdem Anziehsachen für sich und ihre Kinder und auch Spielsachen werden doch weiterhin verkauft. Ich hätte sogar die Vorstellung, dass dadurch nicht weniger, sondern mehr verkauft wird, eben weil sich die Produktpalette für alle öffnet.

Melanie Trommer „Diversity Specialist“ bei Wildling.shoes

klische*esc e.V.: Wollt ihr euch auch weiterhin bewusst gegen das Gendermarketing positionieren und auf die Folgen der Rosa-Hellblau-Falle® aufmerksam machen? Welche Vorgehensweise plant Ihr, um ohne Gendermarketing wettbewerbsfähig zu bleiben?

Ich denke schon, dass wir immer mal wieder darauf aufmerksam machen, was Kinder wirklich brauchen und dass Gender-Schubladen das Letzte davon sind. Wir machen uns auch überhaupt keine Sorgen, ohne Gendermarketing weiterhin wettbewerbsfähig zu bleiben, im Gegenteil, es ist zusätzlich ein so genannter USP, unique selling point. Auch wenn wir uns freuen würden, zumindest in dieser Hinsicht mehr “Konkurrenz” zu bekommen.

Melanie Trommer „Diversity Specialist“ bei Wildling.shoes

klische*esc e.V.: Was ist deine Botschaft an all die Unternehmen und Marketingverantwortlichen da draußen, die jeden Tag aufs neue sexistische, gegenderte und diskriminierende Werbung und Produkte gestalten?

Jede Art von Werbung und Marketing findet ihre Zielgruppe. Wenn Unternehmen nun mal auf die Rosa-Hellblau-Falle® setzen, entgeht ihnen ein ganzer Markt, nämlich der derjenigen, die nicht nur in Schubladen denken. Immer mehr Menschen beschäftigen sich mit den Werten der Unternehmen, bei denen sie kaufen und mit deren Unternehmensphilosophie. Ich bin überzeugt, dass hier eine gezeigte und gelebte Offenheit in Bezug auf geschlechtliche Vielfalt eine ebenso immer größer werdende Rolle spielt wie Positionen gegen Rassismus, Homophobie oder das Thema Nachhaltigkeit. Da können die Marketingabteilungen gerne überlegen, ob sie mit ihrer Rosa-Hellblau-Falle® für ein überholtes Weltbild stehen.

Melanie Trommer „Diversity Specialist“ bei Wildling.shoes

klische*esc e.V.: Vielen Dank und alles Gute!