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Schubladen sind doof!

Gastbeitrag von Václav Demling von Klischeefrei

Schubladen sind doof! Wir bei der Initiative Klischeefrei haben etwas gegen Schubladen. Also nicht gegen Aufbewahrungsfächer im herkömmlichen Sinne, sondern gegen Schubladen im Kopf. Vor allem stören uns solche Schubladen, auf denen verschiedene Berufe stehen und in die je nach dem entweder Frauen oder Männer, Mädchen oder Jungen gesteckt werden.

Grundsätzlich sind alle Berufe für alle Menschen da. Leider spielen Geschlechterklischees heute wie gestern in die Berufs- und Studienwahl hinein. Junge Menschen sollten Berufe wählen können, die zu ihren Stärken passen und ihnen Spaß machen – weg mit den Schubladen!
Vor dem Hintergrund einer freien Berufswahl muss Gendermarketing äußerst kritisch gesehen werden. Denn auch Gendermarketing arbeitet mit Schubladen im Kopf und weist Geschlechtern pauschale Interessen, Verhaltensweisen und Eigenschaften zu – und versieht diese mit den Farben Rosa für Mädchen und Blau für Jungs. Selbstverständlich gibt es unterschiedliche Interessen, Verhaltensweisen und Eigenschaften. Sie haben aber nichts mit dem Geschlecht zu tun, sondern sind individuell.
Die Erfahrung zeigt, dass sich Geschlechterklischees schon ziemlich früh im Leben festigen. Deshalb haben zum Beispiel Erzieherinnen und Erzieher im Kindergarten Einfluss auf Rollen- und auch Berufsbilder. Lehrkräften von der Grundschule über weiterführende Schulen bis hin zu Dozentinnen und Dozenten auf Hochschulen kommt eine wichtige Rolle im Berufsfindungsprozess zu – und nicht zuletzt auch der Darstellung von Geschlechterrollen in den Medien. Einen wesentlichen Einfluss auf Rollenbilder hat aber eben auch die Werbung durch Unternehmen, Stichwort Gendermarketing.
Für eine klischeefreie Berufswahl ist eine entsprechende Kommunikation und Ansprache seitens von Unternehmen von großer Bedeutung. Denn Schülerinnen und Schüler entscheiden sich für oder gegen Berufe unter anderem abhängig davon, ob sie einen Beruf für sich als passend empfinden.[1] Wenn aber in einem Berufszweig Vorbilder fehlen und das jeweils unterrepräsentierte Geschlecht nicht adressiert wird, dann wird diese Branche auch nicht in die engere Wahl genommen.

Schubladen
Foto (c) Jan Antonin-Kolar via unsplash

Schubladen im Kopf öffnen


Ganz konkret können Unternehmen, die sich gegen Schubladen bei der Berufswahl einsetzen wollen, ihre Materialien und Medien auf Geschlechtersensibilität prüfen und überarbeiten, Stellenanzeigen klischeefrei gestalten und darüber hinaus Role Models in Schulen oder auf Messen schicken. Auch ein Engagement in Netzwerken wie der Charta der Vielfalt oder der Initiative Klischeefrei ist eine gezielte Maßnahme für Diversität und gegen klischeebehaftete Berufsfindung.
Unternehmen ihrerseits profitieren gleich mehrfach von einer geschlechtersensiblen Kommunikation und Einstellungspolitik: Erstens sind diverse Teams nachweislich innovativer und erfolgreicher, zweitens können sich Unternehmen auf diese Weise dringend benötigte Fachkräfte sichern und drittens erlangen Unternehmen durch die so gewonnene Vorbildfunktion einen Vorteil gegenüber Mitbewerbern.


Für die vielen Unternehmen, die händeringend nach Fachkräften und Nachwuchs suchen, wie zum Beispiel in vielen Handwerksberufen oder in der Pflege, ist klischeefreies Denken eine Hilfe. Tatsache ist, dass der Fachkräftemangel in jenen Berufsgruppen am größten ist, die am stärksten männlich bzw. weiblich konnotiert sind.[2] Zu den Top-10-Engpassberufen zählen auf der einen Seite mit Kältetechnik, Mechatronik, Hörgeräteakustik, Bauelektrik, Land- bzw. Baumaschinentechnik, Sanitär-, Heizung-, Klimatechnik, Betriebstechnik und Automatisierungstechnik sehr viele MINT-Berufe, in denen der Männeranteil traditionell besonders hoch ist.
Andererseits stehen mit der Alten- sowie der Gesundheits- bzw. Krankenpflege zwei Berufsfelder in den Top 10, wobei die Corona-Krise den Fachkräftemangel in den weiblich konnotierten Pflegeberufen auf eine besonders schmerzhafte Weise hat deutlich werden lassen.[3] Mit der Ausbildungsoffensive Pflege hat sich die Bundesregierung bis 2023 zum Ziel gesetzt, zehn Prozent mehr Pflegekräfte zu gewinnen. Ohne den Männeranteil in der Pflege deutlich auszubauen, wird dieses Ziel nur schwerlich zu realisieren sein. Und auch wenn die pädagogische Fachkraft nicht in den Top 10 auftaucht, so ist der Mangel an Erzieherinnen und Erziehern bekannt[4] und seitens der Regierung durch Programme wie „Chance Quereinstieg/Männer in Kitas“ angegangen worden.

Eine Statistik über die Geschlechterzusammensetzung der Spielwarenbranche ist nicht bekannt. Es deutet jedoch alles darauf hin, dass Spielzeughersteller den Zusammensang zwischen Gendermarketing und Berufswahl noch nicht erkannt zu haben scheinen. Auch wenn sie mit dieser „Leistung“ nicht alleine dastehen, ist das Gendermarketing in der Spielwarenbranche besonders stark ausgeprägt. Durch Gendermarketing können sich Geschlechterklischees verfestigen, die dann wieder in anderen Wirtschaftszweigen dem dortigen Bemühen nach einer Fachkräftesicherung mit Blick auf alle Geschlechter im Wege stehen.
Auf unserer Klischeefrei-Fachtagung 2018 hat Prof. Dr. Susanne Stark von der Hochschule Bochum über „Gendermarketing und dessen Auswirkungen auf die spätere Berufswahl“ gesprochen.[5] Ihr Fazit ist auch etwas über zwei Jahre später noch gültig: Der Einfluss von Gendermarketing auf die Studien- und Berufswahl ist zu vermuten, aber nicht zu quantifizieren. Die Marketingtreibenden haben eine Verantwortung gegenüber Konsumentinnen und Konsumenten und die Unterstützung von Gleichstellung und Diversität sollte Aufgabe wettbewerbsorientierter Unternehmen sein – im eigenen Interesse. Schubladen mögen also zunächst verlockend klingend, bringen aber Einschränkungen der freien Entfaltung mit sich, die uns allen letztlich mehr schaden als nützen.


[1] Stephanie Matthes: „Warum werden Berufe nicht gewählt? Die Relevanz von Attraktions- und Aversionsfaktoren in der Berufsfindung“, 2019.
https://www.bibb.de/veroeffentlichungen/de/publication/download/9795

[2] KOFA-Studie 4/2017: Fachkräfteengpässe in Unternehmen – Rezepte gegen den Fachkräftemangel.
https://www.kofa.de/fileadmin/Dateiliste/Publikationen/Studien/Fachkraefteengpaesse_4_2017.pdf

[3] KOFA-STUDIE 1/2020 „Versorgungsrelevante“ Berufe in der Corona-Krise Fachkräftesituation und Fachkräftepotenziale in kritischen Infrastrukturen.
https://www.iwkoeln.de/fileadmin/user_upload/Studien/Gutachten/PDF/2020/gutachten-kofa-versorgungsrelevante-berufe-corona.pdf

[4] Warning, Anja (2020): Rekrutierungssituation im Beruf der Erzieherin/des Erziehers: Engpässe werden immer stärker sichtbar. (IAB-Kurzbericht, 02/2020), Nürnberg, 11 S.
http://doku.iab.de/kurzber/2020/kb0220.pdf

[5] Prof. Dr. Susanne Stark: Gendermarketing: Marketing und Werbung – ein Einflussfaktor auf die Studien- und Berufswahl?“.
https://www.klischee-frei.de/dokumente/pdf/a41_klischeefrei_Impulsvortrag_Stark_Gendermarketing.pdf