Mit dem freispiel-Abzeichen ehren wir Unternehmen, die in ihrer Werbung, Produktpalette und Unternehmenskommunikation bewusst auf Gendermarketing und normierende Rollenklischees verzichten und sich offen für Wahlfreiheit und Geschlechterdiversität einsetzen. Ein besonders innovatives Beispiel ist das Berliner Unterwäschelabel Androwear.

Wenn ich bei Google das Wort „Unterwäsche“ eingebe, präsentiert mir die Suchmaschine auf der ersten Seite ausschließlich Ergebnisse mit dem Titel „Unterwäsche für Damen“. Der Algorithmus weiß also, dass ich eine Frau bin und führt mich automatisch in die Damenwäscheabteilungen bekannter Modehersteller. Was ich suche, finde ich dort allerdings nicht: Boxershorts aus Baumwolle, die ich gerade an kalten Tagen gemütlich finde, weil sie untenrum so schön warmhalten. Natürlich könnte ich mich jetzt durch die Männerabteilungen klicken, wo es von Boxershorts nur so wimmelt. Allerdings werden dort nur solche Boxershorts angeboten, die bei Menschen mit Penis gut sitzen. Bei mir würde vorne ein lächerliches Stück Stoff abstehen.
Unterwäsche ist ganz offensichtlich ein Produkt, das in unserem Kulturkreis stark von Geschlechternormen geprägt ist. Werbung und Warenangebot großer Modemarken diktieren mir als Verbraucherin, welche Farben, Formen und Schnitte zu meiner Geschlechtsidentität passen und welche nicht. Außerhalb binärer Geschlechterkategorien („für Männer“/“für Frauen“) zu shoppen scheint bei diesem Produkt kaum möglich.
„Jeder Körper erzählt eine eigene Geschichte„
Androwear-Motto
Dass es auch anders geht, zeigt die Berliner Modedesignerin Isabelle Merten mit ihrem Unterwäschelabel Androwear, die diesjährige Gewinnerin des freispiel-Abzeichens.

„Jeder Körper erzählt eine eigene Geschichte“, lautet das Motto, unter dem die Produkte von Androwear auf der Unternehmenswebseite beworben werden. Dass diese Geschichte weit vielfältiger und komplexer ist als die binäre Einteilung der Welt in Rosa und Hellblau, Mann und Frau, spiegelt sich in Isabelle Mertens Unternehmensphilosophie und der daraus entstandenen Produktvielfalt von Androwear wider.
Shopping nach den Bedürfnissen des individuellen Körpers statt Geschlechter-Kategorien
Die Marke Androwear – ein Wortspiel aus „androgyn“ und „underwear“ – bietet Unterwäsche für eine Vielfalt an Geschlechtsidentitäten und Körperformen. Der Gedanke dahinter ist jedoch nicht, eine Form für alle, sondern viele Arten von Unterwäsche für verschiedene Geschlechter anzubieten. Dabei werden die Produkte im Online-Shop nicht wie bei anderen Marken nach Geschlechtern kategorisiert, sondern nach ihren jeweiligen Funktionen, beispielsweise Boxershorts für Menschen mit Penis und für Menschen mit Vulva/ohne Penis. Auch die Bandbreite der angebotenen Größen – von XS bis 5XL – unterstützt den Anspruch, Körper nicht zu normieren, sondern ihre Diversität anzuerkennen, was sich auch in der Auswahl der Models von Androwear widerspiegelt.
Ein zusätzliches Plus: Die Produkte von Androwear sind fair produziert und werden aus umweltfreundlichen und zum Teil auch recycelten Materialien in Berlin genäht. Dafür garantiert Firmenchefin Isabelle Merten, die selbst hinter der Nähmaschine sitzt.
Weil sie mit ihrer gender-inklusiven Unterwäschemarke Androwear Klischees aufbricht, indem sie Produkte für eine möglichst große Vielfalt an Körperformen und Identitäten anbietet, wird Isabelle Merten 2021 mit dem freispiel-Abzeichen ausgezeichnet. Somit übernimmt Androwear eine Vorreiterrolle.

Ein Wunsch für die Zukunft – Vielfalt auch in der Kinderabteilung
Wünschenswert wäre diese Vielfalt auch in der Kinderabteilung. Denn oftmals haben gerade Kinder bei Unterwäsche nur die Wahl zwischen Kleidungsstücken, die eindeutig für Mädchen bzw. eindeutig für Jungs beworben werden. Was beim rosa bzw. blauen Babystrampler anfängt, zieht sich durch bis zur Wäsche für Teenager*innen. Wo aber können Mädchen shoppen, die sich eben nicht in rosa Rüschen und Push-up wohlfühlen oder Jungs, die gerne auch mal Unterwäsche in anderen Farben als Blau, Grau oder Braun tragen würden? Es braucht schon viel Mut, hier einfach dem eigenen Geschmack zu folgen und sich etwas in der „falschen“ Abteilung auszusuchen. Wir hoffen somit, dass Androwear Schule macht und künftig auch andere Unterwäschehersteller nachziehen, ihre Produkte so zu bewerben, dass es normal wird zu betonen, WAS ein Produkt kann, statt FÜR WEN es gemacht ist.
Dank an die Community
Unser Dank geht an alle, die Positivbeispiele für das freispiel-Abzeichen eingereicht haben. Wir freuen uns auch weiterhin über eure Unterstützung, denn es gibt noch viel zu tun!
Euer Zaunpfahl-Team
INTERVIEW mit ISA MERTEN
klische*esc. e.V.: Hallo Isa, Glückwunsch zum Flausch 2021, dem Freispiel-Abzeichen gegen Gendermarketing-Konzepte! Wie ist die Idee zu Androwear entstanden und was hat dich zur Gründung des Unternehmens bewegt?
Isa Merten: Vielen Dank! Ich freue mich, dass Androwear ausgewählt wurde und damit genau der Anstoß gesehen wird, den ich seit Gründung des Labels geben wollte. Von der Idee bis zur Gründung im Sommer 2020 sind nur ein paar Wochen vergangen. Durch Eigenbedarf und befreundete Personen habe ich gemerkt, dass es kaum Unterwäsche außerhalb der gängigen Geschlechternormen gibt. Ich fing an, eng anliegende Boxershorts für Menschen mit Vulva zu nähen und habe dabei gemerkt, dass es noch viel mehr Bedarf gibt. Vor allem bei geschlechtergerechter Unterwäsche für LGBTQIA+ Personen, aber auch verschiedenen Körperformen und Größen. In Umfragen, Gesprächen und Anproben konnte ich herausfinden, welche Produkte in der Mainstream-Industrie fehlen. Obwohl ich Modedesign studiert habe und Näherin bin, hatte ich nie vor mich selbstständig zu machen. Jetzt bin ich aber sehr glücklich, diese Idee aus einem allgemeinen Bedürfnis heraus umgesetzt zu haben. Bisher entwickle und produziere ich alles selber in Berlin.
klische*esc. e.V.: Wie wird dein Angebot bisher angenommen? Sind die Reaktionen ausschließlich positiv?
Isa Merten: Obwohl Androwear eine (zu Recht) sehr kritische Zielgruppe hat, gab es bisher nur Zuspruch und Unterstützung. Da die Produkte zum Teil eine Marktlücke in Europa bedienen, wurden sie schon von Anfang an ohne großes Marketingkonzept gekauft und gut angenommen. Das liegt wahrscheinlich daran, dass es bei Androwear Produkte für alle Geschlechteridentitäten gibt. Gerade für trans Personen ist es schwierig Unterwäsche zu finden, die Körperteile kaschiert, Prothesen „verstaut“ und dabei gut aussieht. Ich versuche, Klischees zu bedienen und gleichzeitig aufzubrechen, indem ich „klassisch feminine“ oder „maskuline“ Styles für alle Geschlechter anbiete. Daher auch der Name Androwear; ndrogyne Underwear.
klische*esc e.V.: Wo seid ihr bei der Gründung auf Schwierigkeiten gestoßen und wie habt ihr sie überwinden können?
Isa Merten: Die Gründung war und ist eine Testphase, um zu schauen ob das Label angenommen wird. Mit Produkten, die als Invention neu im Markt platziert werden, stellt sich die Frage wie groß der Bedarf ist und wie schnell er gedeckt wird. Anfangs war ich vorsichtig mit Investitionen, weil das Label ohne Budget anfing. Mittlerweile gehe ich mutiger an neue Ideen ran, weil ich jetzt weiß, dass Zuspruch da ist.
klische*esc e.V.: Warum unterstützt du das Freispielabzeichen, warum findest du es wichtig, Unternehmen wie euch, die bewusst nicht in Rollenklischees denken, auszuzeichnen?
Isa Merten: Im Feminismus ist es wichtig, Ungleichheiten aufzuzeigen und publik zu machen. Gleichzeitig braucht es neue Konzepte und Netzwerke, um Veränderung anzuregen. Mit dem Goldenen Zaunpfahl und dem Freispiel-Abzeichen macht ihr, aus meiner Sicht, das gleiche. Ihr gebt Unternehmen mehr Sichtbarkeit und Konsumierenden gleichzeitig die Möglichkeit, Alternativen zu entdecken.
klische*esc. e.V.: Wie glaubst du kann auch bei anderen Unternehmer*innen ein Bewusstsein dafür geweckt werden nicht dem Gendermarketing zu verfallen?
Isa Merten: Vielleicht indem man sich bewusst macht, dass mit einem Produkt nicht nur „Frau“ oder „Mann“, sondern gleichzeitig alle Geschlechter angesprochen werden könnten. Somit kommen größere Produktionsmengen und dadurch weniger Kosten zustande.
klische*esc e.V.: Was würdest du Unternehmen sagen/raten, die befürchten, nicht wettbewerbsfähig zu bleiben, wenn sie auf Gendermarketing verzichten?
Isa Merten: Natürlich ist das Ziel von Marketing, Sehnsüchte zu schaffen, wo uns vorher gar nichts gefehlt hat. Trotzdem wäre es auch für Unternehmen von Vorteil, mit einer reflektierteren Gesellschaft mitzugehen und durch Marketing keine negativen Gefühle zu erzeugen. Zum Beispiel mit Rollenbildern, die ein Geschlecht beleidigen oder belächeln. Dadurch werden sie mit der Zeit immer mehr kritische Konsument*innen verlieren.
klische*esc e.V.: Welche Tipps hast du für Gründer*innen und Shop-Inhaber*innen, denen es wichtig ist, keine Rollenbilder und Klischees in ihren Unternehmen zu reproduzieren?
Isa Merten: Da Androwear Nischenprodukte verkauft, ist es für mich einfacher, Rollenbildern nicht zu verfallen. Trotzdem würde ich immer raten, sich in möglichst verschiedene Kund*innen der Zielgruppe zu versetzen und sich selbst zu sensibilisieren. Bei Produktbeschreibungen etwa habe ich die Verantwortung darauf zu achten, keine Dysphorie bei trans Personen auszulösen. Wenn das Kauferlebnis für deine Zielgruppe angenehm war, ist das natürlich auch ein Wettbewerbsvorteil.
klische*esc e.V.: Vielen Dank und alles Gute!
Isa Merten: Danke euch für die Mühe und das tolle Abzeichen!
