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Laudatio zum Goldenen Zaunpfahl 2023

Liebe Anwesende heute Abend hier in der Distel,

ich nehme sie jetzt mal zu Beginn meiner Laudatio mit in das Deutschland der 1950er Jahre: Eine Zeit, über die einige leider immer noch sagen würden, dass die Geschlechter-Welt damals noch in Ordnung war: Männer gingen arbeiten und brachten das Geld nach Hause, Frauen kümmerten sich um die komplette unbezahlte Care-Arbeit: sie managten Kinder und Haushalt und verrichteten vorrangig reproduktive Arbeit: Sorgen, Pflegen, Betreuen – in allen Facetten war ihre Verantwortung.

In der Werbewelt von damals sehen wir glückliche Familien – natürlich bestehend aus Mann, Frau und zwei-drei Kindern – die gemeinsam am Tisch sitzen und das gute Essen der Hausfrau loben.

Ein konkreter Werbefilm von damals verspricht, dass das beworbene Produkt „Jugend, Frische und Vitalität“ sichere und die gestresste Hausfrau „glücklich macht, damit sie glücklich machen“ kann.

Die Rede ist von „Frauengold“, einem Getränk, dem stimmungsaufhellende und beruhigende Wirkung nachgesagt wurde und das sich wie beschrieben vor allem an Hausfrauen wandte, denen ihre Aufgaben über den Kopf wuchsen, die nicht mehr dem damaligen Schönheitsideal entsprachen und die ihren Frust an ihren Ehemännern auszulassen drohten. Dem musste im Deutschland der Wirtschaftswunderzeit natürlich entgegengewirkt werden! Und zwar nicht, indem Lohn- und Care-Arbeit gleichmäßiger aufgeteilt werden und indem Frauen und Männer gemeinsam die Hausarbeit erledigen. Nein! Im Deutschland der Wirtschaftswunderzeit verkaufte man ein Stärkungsgetränk mit rund 17 Prozent Alkohol, damit Frauen sich den Erwartungen an die ihnen zugedachte Rolle entsprechend verhalten und um den Frauen die Anpassung an ihre von der patriarchalen Gesellschaft gewünschten Rolle zu erleichtern.

Und nach so ein paar Gläsern Frauengold sieht die Hausfrau in der Fernsehwerbung die Probleme des Alltags mit großer Gelassenheit. Die Falten der Mutter verschwinden vor lauter Vitalität, mit den Kindern wird im Garten getollt und der Ehemann wird nicht beschimpft, als er eine Vase fallen lässt, sondern kurzerhand aufs Sofa gezogen. Prost! Die Sekretärin, die eben ihren Chef anschreien wollte, dass sie sich nicht alles gefallen lassen muss, sieht nach einem Schluck viel klarer: sie muss sich alles gefallen lassen. Demütig entschuldigt sie sich. Prost!

Aus Reizbarkeit, natürlichem Altern und Prüderie werden Gelassenheit, jugendliche Vitalität und Verfügbarkeit.

In den 1950er Jahren war übrigens Vergewaltigung in der Ehe noch nicht strafbar. Ab 1958 durften Frauen zwar außerhalb der eigenen vier Wände arbeiten, allerdings nur, wenn das mit ihren Pflichten im Bereich Ehe und Familie vereinbar war – und darüber entschied der Ehemann. Eigenständiges Vermögen durfte frau sich nicht aufbauen.

Die Frauengold-Hochphase ist also insgesamt eine Zeit, die für mich ins Geschlechter-Gruselkabinett gehört.

Und genau in diesem Gruselkabinett finde ich mich heute wieder, wenn ich die Werbung für das Produkt sehe, welches den diesjährigen Goldenen Zaunpfahl erhält!

Der Goldene Zaunpfahl geht im Jahr 2023 mitten ins Herzen von Nordrhein-Westfalen, nach Recklinghausen – an die Kornbrennerei Boente!

The winner is „Zickengold“!

Süßer, fruchtiger Likör mit 15 Promille, der jungen Frauen „Fun“ verspricht und so heißt es auf der Webseite: „Unser Produkt ist mit einem Markennamen „ausgestattet“ der die moderne “Zickenwelt“ bedient. Mit einem Augenzwinkern wird auf das Produkt „Frauengold“ angespielt – und die Werbesprache nur in moderneres Gewand gepackt, und so lautet es: „mit viel “Fun“ werden die “Angesprochenen“ diese Produktidee aufnehmen – breitflächige Umfragen haben es gezeigt – die Idee kommt an und die “Männerwelt“ wird es mit einem Lächeln “gerne“ verschenken.“

Was soll dieser Hinweis konkret bedeuten? Dass Männer, die Zickengold verschenken, Frauen mit Alkohol gefügig machen können? Junge Frauen mit Alkohol auf Partys gefügig zu machen, wurde jahrzehntelang als völlig normal angesehen und in zahlreichen Blockbustern sogar als witzige Pointe verwendet. Werbestrategien wie die von „Zickengold“ knüpfen genau da an: Männer, die Alkohol mit einem Lächeln gerne verschenken, weil sie wollen, dass Frauen dadurch gefügiger werden – da geht es nicht, wie uns so manch Hollywoodfilm aus den 90ern weißmachen wollte, um Jungs- oder Studentenstreiche – hier ist der Übergang zu sexuellen Übergriffen und sexualisierter Gewalt nah und fließend.

Zwar schreibt die Herstellerin, die „Privatbrennerei Boente“ in ihrem Instagram-Account, dass „Drama Queens“ und „Drama Kings auf das Getränk in der „exklusiven Flasche“ schwören, vorrangige Zielgruppe des Produkts sind allerdings eindeutig Frauen, insbesondere bei den kleinen Abfüllungen „Zickengold für die Handtasche“ schlägt die Gender-Marketing-Strategie von Boente vollends zu. Und mal ehrlich: Der Begriff „Zicke“ bleibt abwertend und frauenfeindlich.

In den Anfängen des Begriffs galt frau schon als „Zicke“ wenn sie nicht gleich mit dem Mann knutschen wollte, der ihr Avancen machte. In den Boulevardblättern der 1990ern wurde der „Zickenkrieg“ eingeführt und verwendet, wenn zwei Frauen sich angeblich ihren biologischen Launen des gegenseitigen Rumzickens ergaben. Alsbald stand die Zicke dann auch auf zahlreichen T-Shirts in einer Reihe neben dem Luder oder gleich Boxenluder.

Auch wenn der Begriff Zicke heute auf vielen T-Shirts und auf den heute Abend prämierten Alkoholflaschen von „Zickengold“ mit einem humoristischen Augenzwinkern getragen und verwendet wird, möchte ich diesen Abend nutzen um deutlich zu machen: guter Humor und gutes Marketing brauchen weder Sexismus noch abwertende Begrifflichkeiten!

Übrigens: Spätestens wenn die Brennerei ihr „Zickengold“ als perfektes Geschenk zum Muttertag bewirbt, sind wir schon wieder mitten in der Welt der 1950er Jahre angekommen.

Denn auch wenn sich die Welt in den vergangenen 70 Jahren weitergedreht und auch gleichstellungspolitisch positiv weiterentwickelt hat – das Patriarchat wirkt immer noch fort und presst junge Frauen nicht selten in alte und neue starre Geschlechterbilder und Rollenklischees. Zickengold zeigt, wie junge Frauen sich heute in unserer Gesellschaft zu zeigen und zu geben haben und zeichnet auf der großen Variante der Alkoholflaschen entsprechend aufreizend tanzende – ausschließlich schmale und zugleich weibliche Reize erahnen-lassende – Frauenkörper.

Dieser oberflächliche Blick verdeckt die Realität, dass insbesondere bei jungen Frauen der Anteil an gesundheitsgefährendem Alkoholkonsum in den vergangenen Jahren stark zugenommen hat.

  • Aber Frauen brauchen keinen Alkohol, um „Fun“ zu haben.
  • Frauen müssen überhaupt keinen „Fun“ haben, wenn sie das nicht wollen und ihnen gerade mal nicht nach Fun zumute ist
  • und Frauen müssen sich dann erst recht nicht mit Alkohol „locker machen“.

Das Produkt Frauengold wurde nach fast 30 Jahren auf dem Markt übrigens 1981 verboten, da es neben Alkohol auch krebsfördernde und nierenschädigende Inhaltsstoffe enthielt. Ich würde mir wünschen, dass die Privatbrauerei Boente nicht fast 30 Jahre braucht, um zu merken, dass ihr „Zickengold“ von gestern ist.